Auf Betreiben des Komitees europäischer freidenkerischer Verbände wurde ein Unterschriftenaufruf an alle säkularen, freigeistigen und humanistischen Vereinigungen in Europa geschickt, um zu verlangen, dass die persönlichen Daten aller Menschen, die aus einer Konfession ausgetreten sind, aus den Registern dieser Konfession gelöscht werden – was bisher bei Weitem nicht immer der Fall ist. Dieser Aufruf richtet sich an das Europäische Parlament.

Die europäische Initiative der freigeistigen Verbände ruft zum Schutz aller Apostaten auf. Konkret geht es auch um die Einhaltung der strikten Gleichheit vor dem Gesetz zwischen den Kirchen und den anderen Organisationen der Zivilgesellschaft in Europa. Es geht um eine grundlegende Frage: die der Gewissensfreiheit und ihrer absoluten Achtung.

Einem Kind von Geburt an aufzuzwingen, einer bestimmten Konfession zwangsweise beizutreten, und ihm anschließend das Recht zu verweigern, diesen Beitritt nach seinem freien Willen vollständig rückgängig zu verlassen, bedeutet die Infragestellung eines Prinzips, das unantastbar sein sollte: Niemand kann gezwungen werden, einer Konfession beizutreten, und niemand kann gezwungen werden, dort zu bleiben. Dieser Grundsatz wird theoretisch durch internationale Texte garantiert, auf die sich viele berufen. Dennoch wird dieses Recht in manchen EU-Ländern nur teilweise beachtet.

Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mit dem Titel: “Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit” besagt: “ede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln”. Die EMRK verpflichtet die Staaten, die der Konvention zugestimmt haben, diese Freiheiten, die auch die Gesamtheit der Überzeugungen des Einzelnen umfassen, zu achten und zu schützen.

Dieses Prinzip wurde durch die Allgemeine Datenschutzverordnung (DSGVO) bekräftigt : Die DSGVO ermöglicht es jeder Person, alle Spuren ihrer früheren Zugehörigkeit zu einer Struktur der Zivilgesellschaft löschen zu lassen, wenn sie dies wünscht : Ein Kind ist kein Vieh im Wilden Westen, das für sein Leben gebrandmarkt wird.

Auf der Grundlage der DSGVO ist es möglich, alle persönlichen Daten aus den Registern eines Vereines, einer Gewerkschaft, einer Partei oder einer Großloge löschen lassen – aber angeblich nicht aus den Registern einer Kirche, so der Tenor in manchen EU-Ländern.

Der Kampf für weltanschauliche Selbstbestimmung und für Geistesfreiheit ist ein Kampf gegen alle Maßnahmen, wodurch die Menschheit in religiöse Fesseln gelegt wird. Wenn man einmal zwangsweise in die römisch-katholische Kirche eingetreten ist, darf man zum Beispiel in Frankreich aufgrund des administrativen Jurisprudenz seine eigenen Daten aus den Taufregistern entfernen lassen. Die entsprechenden rechtlichen Gremien wurden dazu von einem französischen Bürger angerufen und lehnten das Prinzip dieser Löschung ab, indem sie der Kirche Recht gaben, die die Löschung verweigerte und anstelle davon diese Person in den Registern als Apostat anmerken wollte und schließlich auch durfte. Und das, obwohl (oder gerade weil) nicht Wenige diese Kirche jetzt als kriminelle Organisation betrachten : Es gab ja 300 000 Opfer von Sexualmissbrauch durch den katholischen Klerus allein in Frankreich und Millionen auf der ganzen Welt. Die Rechtfertigung für dieses Apostasie-Urteil ? Eine Taufe sei eine “historische Tatsache”. Inwiefern ist diese Tatsache “historischer” als eine Mitgliedschaft in einer zivilgesellschaftlichen Vereinigung, einer Gewerkschaft, einer Partei, oder einer humanistischen Verbandes ? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dürfte sich wohl bald mit diesem Urteil befassen.

Es geht nicht um “jahrtausendealte Archive oder historische Dokumente”, die das Fehlen eines bürgerlichen Standesamtes ersetzen sollen. Es geht um viel konkretere Angelegenheiten – auch um Geld. Haben Sie vom Fall Thomas Borres gehört, einem in Deutschland lebenden französischen Staatsbürger, dessen Taufschein die katholische Kirche in Detschland von der katholischen Kirche in Frankreich verlangte und erhielt, um ihn – zwangsweise – zur Zahlung der Kirchensteuer zu zwingen, obwohl er dem katholischen Glauben schon lange abgeschworen hatte ? Sowas passiert, wenn den Menschen von vornherein eingetrichtert wird, dass sie aus den Taufregistern nicht wegkönnen. Apostatenlisten können auch dramatische Konsequenzen haben, zum Beispiel in Deutschland, wo manche Caritas-Heime und Krankenhäuser sich das Recht gönnen, keine Apostaten zu beschäftigen. Unter anderem aus diesem Grund wurde die DSGVO gemacht, um alle Spuren der früheren Zugehörigkeit zu einer Struktur zu löschen, wenn eine Person dies verlangt.

Das Schlimmste steht möglicherweise noch vor uns : In vielen Ländern Europas sind Rechtsradikale auf dem Vormarsch, teilweise schon an der Macht, und zwar nicht selten mit der Unterstützung religiöser Organisationen – nicht nur fundamentalistische Randgruppen machen da mit, sondern auch Funktionäre von etablierten Konfessionen. Wollen wir wirklich die Gefahr laufen, dass eine solche unheilige Allianz bald über vollständige Apostatenlisten verfügt ? Die Geschichte Europas, auch die des 20. Jahrhunderts, lehrt uns leider zu Genüge, was ein Unrechtsstaat aus Taufregistern und Apostatenlisten machen kann, vor allem wenn sie sich auf eine Religion stützt – wer glaubt, dass solche Verhältnisse heute nur im Iran gelten könnten, der irrt sich gewaltig.

Im Grunde können Offenbarungsreligionen keine Apostasie dulden. Alle Konfessionen, die sich das leisten können, werden versucht sein, Listen von Apostaten zu erstellen. Die römisch-katholische Kirche fühlt sich in manchen Ländern stark genug, dies auch zu sagen: Damit setzt sie einen gefährlichen Präzedenzfall, der Apostaten aus anderen Religionen in ganz Europa direkt bedroht. Umgekehrt : Wenn wir erreichen, dass die Kirche die Namen der getauften Personen aus ihren Registern löschen muss, verankern wir das Recht auf Apostasie in der Rechtsprechung, was nicht nur Ex-Katholiken, sondern auch Ex-Protestanten, Ex-Juden, Ex-Muslimen usw. zugute kommen wird. Nach einem Erfolg wäre es ihren ehemaligen Glaubensbrüdern und -schwestern verboten, die Namen von Personen, die die Konfession verlassen haben, auf einer hauseigenen Liste zu bewahren.

Reden und handeln

Dieser Europäische Aufruf ist die einzige konkrete Initiative zur rechtlichen Verteidigung aller ApostatInnen, unabhängig von ihrer ursprünglichen Religion. Er zielt darauf ab, alle Personen zu schützen, die entweder ihre Religion gewechselt oder einer Religion abgeschworen haben, Der Ansatz beruht auf der strikten Gleichwertigkeit der betroffenen Personen und ihrer Überzeugungen, ohne jegliche Bevorzugung, jegliche Dimension der Diskriminierung oder jegliche Fremdenfeindlichkeit gegenüber Einzelpersonen oder bestimmten Konfessionen und Weltanschauungen.

Wenn dieser Antrag und seine juristischen Folgen Erfolg haben, ist das ein zusätzlicher Schutz für alle Europäer und Einwohner dar, die ihre Religionszugehörigkeit, die ihnen oftmals in ihrer Kindheit aufgezwungen wurde, ändern oder ablegen wollen.

Jeder ist daher mit seiner Verantwortung konfrontiert : Welcher Aktivist, welche Verband für Säkularismus und Geistesfreiheit, könnte ein konfessionnelles Privileg akzeptieren, das vom allgemeinen Recht auf Datenschutz abweicht und das das Grundprinzip der Gleichheit und der Achtung der Gewissensfreiheit in Frage stellt?

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Dieser Aufruf steht also ganz klar für die Verteidigung der Trennung von Staat und Kirchen und der Gewissensfreiheit. Er hat innerhalb weniger Tage Hunderte von Unterschriften aus mehreren Ländern gesammelt, darunter von folgenden Organisationen:

  • Association nationale Giordano Bruno – Libre Pensée (Italie)
  • Association madrilène des Athées et des Libres Penseurs (Espagne)
  • Association internationale de la Libre Pensée (AILP)
  • Fédération humaniste autrichienne (Autriche)
  • Bureau européen de coordination de la Libre Pensée (BECLP)
  • Union des Athées et des Libres Penseurs de Catalogne (Espagne)
  • Fédération nationale la Libre Pensée (France)
  • Humanist Association (Irlande)
  • Association Humaniste (Norvège)
  • Ligue Humaniste de Chimay-Momignies (Belgique)
  • Libre Pensée (Luxembourg)
  • Les Amis d’Hypatie (Grèce)
  • Cercle de la Libre Pensée (Belgique)
  • Europa laica (Espagne)
  • Association pour le Droit de Mourir dans la Dignité (France)
  • L’Obédience Maçonnique Le Droit Humain (France)
  • L’Obédience maçonnique La Grande Loge Mixte de France (France)
  • Maison de la Laïcité de Mons (Belgique)
  • Conseil National des Association Familiales Laïques – CNAFAL (France)
  • Union des Libres Penseurs Humanistes du Brandebourg (Allemagne)
  • Fédération nationale laïque des Monuments (France)
  • Les Humanistes Évolutionnaires Berlin-Brandebourg (Allemagne)
  • Tendance intersyndicale Émancipation (France)
  • Association « Liberté de conscience » (Luxembourg)
  • Associação República e Laicidade (Portugal)
  • Association internationale des sans-confession et Athéistes – IBKA (Allemagne)
  • Institut de Recherches et d’Études de la Libre Pensée – IRELP (France)
  • Colectivo Republicano de euskal herria – Basque
  • The Union of Freethinkers (Finlande)
  • Organisation Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), Landesverband Berlin-Brandenburg (Allemagne)

Unterstützt wird die Initative auch vom Europäischen Säkularen Netzwerk (European Secularist Network) im Sinne des Kampfs für die Gewissensfreiheit und für den Schutz der persönlichen Daten von Menschen, die eine Religion verlassen : Die Verbände, aus denen sich das Netzwerk zusammensetzt, fordern, dass religiöse Organisationen einfach dem allgemeinen Recht unterworfen werden und die Gesetze zum Schutz personenbezogener Daten respektieren.

Rechtliche Beschwerden wurden bisher in mindestens vier EMRK-Vertragsländern (Frankreich, Irland, Spanien, Belgien) unternommen, und dürften bald vom EGMR unter die Lupe genommen werden.

Ein gemeinsamer Aufruf säkularer, humanistischer und freigeistiger Verbände in Europa wäre ein Weckruf und dürfte die Bürgerinnen und Bürger aller europäischen Länder auf die Achtung der Gewissensfreiheit aufmerksam machen.

Eingeladen sind alle europäischen Verbände, die sich zum Schutz der weltanschaulichen Selbstbestimmung bekennen, und das nicht nur in der EU, denn es gibt nur 27 EU-Länder, aber 46 EMRK-Länder. Auch Einzelpersonen können den Text unterzeichnen.

Zur Petition :

https://framaforms.org/organized-confessions-should-not-be-allowed-to-retain-personal-data-1712911613

 

Mit freigeistigem Dank,

Das Europäische Koordinationsbüro freigeistiger Organisationen